Schiff auf weißem Grund

itp:ne | Innovative Nahmobilität

Darmstadt ist Deutschlands Pendlerhauptstadt. Aus dem Umland pendeln viele täglich zur ihrem Arbeitsplatz. Die meisten nutzen dazu den eigenen PKW – vor allem, wenn die Strecke länger als 5-10 Kilometer ist.

Mobilitätswende in der Fläche: Das Darmstadt Vehikel (DaVe) und weitere Bausteine

Wer es gewohnt ist, zunächst die Autotür zu öffnen, um ein Ziel zu erreichen, braucht besonders attraktive Alternativen, wenn es darum geht, bisherige Mobilitätsmuster aufzubrechen. Ein Baustein für eine Stadt-Umland-Mobilitätswende kann ein neu gestaltetes Fahrrad sein, welches den eigenen PKW auf den alltäglichen Fahrten ersetzt. Hinzu kommen müssen aber fahrradfreundliche Infrastrukturen und ein Bündel ergänzender Mobilitätsangebote (etwa ÖPNV oder Carsharing-Angebote). Um die Mobilitätswende in die Fläche zu tragen, sind folglich verschiedene Bausteine zu einem stimmigen Ganzen zusammenzufügen. Der Frage, wie diese Bausteine aussehen können, widmete sich das Projekt „Innovative Nahmobilität“. Es wollte zu einer nachhaltigeren Mobilität mit den dafür notwendigen Infrastrukturen beitragen. Gleichzeitig sollte eine möglichst schadstofffreie und ressourcenschonende Alternative zum Zweitwagen entstehen.

Das Projekt war dafür in fünf Bausteinen angelegt. Es stützt sich auf den Transment-Ansatz der itp:ne. Eingeflossen in die Entwicklung von DaVe sind die Ergebnisse aus zwei Befragungen des Bürgerpanels (Befragung 1 / Befragung 2)

Ein Projektbericht folgt in Kürze.

Baustein 1: Das Fahrrad neu gedacht – Entwicklung und Gestaltung von DaVe

Im Projekt „Innovative Nahmobilität“ hat sich ein interdisziplinäres Team, bestehend u.a. aus Industriedesign, Ressourceneffizienz und Rechtswissenschaft, auf dem Weg gemacht, das Fahrrad aus der Perspektive derjenigen, die es später nutzen, noch einmal neu zu denken. Gemeinsam mit dem Unternehmen RTI Sports ist ein voll fahrfähiger Prototyp für das Darmstadt-Vehikel (DaVe) entstanden. Geplant ist, DaVe im Sommer 2024 auf der Eurobike-Messe in Frankfurt zu präsentieren.

Das Konzept für DaVe lässt sich so zusammenfassen: Das Fahrrad ist von Muskelkraft angetrieben, aber motorunterstützt. Es ist ein alltagstaugliches Allwetterfahrrad, das vor Regen und Kälte schützt. Bei schönem Wetter fährt man angenehm im Fahrtwind. DaVe ist kein Lastenrad, man kann aber ohne weiteres zwei Bier- oder Wasserkästen aufladen, ohne die Fahreigenschaften negativ zu beeinflussen. Trotzdem entspricht DaVe in den äußeren Abmessungen einem normalen Fahrrad.

 

Baustein 2: Ein möglichst ressourcenschonendes DaVe

DaVe sollte aus möglichst schadstofffreien und ressourcenschonend hergestellten Materialien bestehen. Die Produktentwicklung orientierte sich an dem „New Circular Economy Action Plan“ der Europäische Kommission im Rahmen des „Green Deals“. Hier heißt es: „Für die Bürgerinnen und Bürger wird die Kreislaufwirtschaft hochwertige, funktionelle und sichere Produkte bieten, die effizient und erschwinglich, langlebiger und auf Wiederverwendung und Reparatur sowie ein hochwertiges Recycling ausgelegt sind.“

Das transdisziplinäre Team stellte erste Weichen, für ein  modular aufgebautes  Fahrrad mit langer Lebensdauer, das leicht reparier- und zerlegbar ist.

Deutlich wurden dem Team dabei die Grenzen durch  die aktuellen Bedingungen am Markt: Hieraus entstand während des Projektes der zusätzliche Baustein 3.

Baustein 3: Lebenszyklusanalysen auf der Basis transparenter Lieferketten

Die Entwicklung von DaVe in Richtung einer ressourcenschonende Circular Economy in der Fahrradbranche stieß immer wieder an Grenzen, weil sich der „ökologische Fußabdruck“ nicht belastbar bestimmen ließ. Für solche Lebenszyklusanalysen ist man auf Daten angewiesen, die zeigen, welche Umweltbelastungen mit der Herstellung der Materialien und Bauteile verbunden waren. Diese Daten können nur die jeweiligen Lieferanten bereitstellen. Dafür fehlen bislang aber die Voraussetzungen. Ein weiterer Baustein sind daher transparente Lieferketten. Alle, die zum Endprodukt beitragen, müssen für das jeweilige Bauteil den ökologischen Fußabdruck übermitteln und diese Daten permanent aktuell halten.

Notwendig ist daher eine (durch IT-Systeme unterstützte) Transparenz in der gesamten Lieferkette; und zwar beginnend bei den eingesetzten Materialien über Reparaturanleitungen bis hin zu Wieder- und Weiterverwendung von Bauteilen. Ein solcher „Digitaler Produktpass“ ist auch im Green Deal vorgesehen. Wie die Fahrradbranche dafür die Voraussetzungen schaffen kann, war Gegenstand eines „Strategietreffens“ am Rande der Eurobike 2022 in Frankfurt am Main.

Baustein 4: Eine fahrradfreundliche Infrastruktur über Gemeindegrenzen hinweg

Damit DaVe einen tatsächlichen Beitrag zur regionalen Mobilitätswende leistet, muss es für möglichst viele Menschen attraktiv sein, im Alltag vom eigenen Auto auf DaVe umzusteigen. Dafür ist eine fahrradfreundliche Infrastruktur auch im Umland von Darmstadt erforderlich. Zu untersuchen war daher auch die Frage: Wie gelingt es, eine fahrradfreundliche Infrastruktur für Pendelnde im Umland von Darmstadt bereitzustellen?

Der ernüchternde Befund: Es gibt zwar ein regionales Radverkehrskonzept aus dem Jahr 2018, der Umsetzungsbericht zeigt allerdings, dass immer noch erhebliche Lücken bestehen. Die bisherigen (Verwaltungs-) Prozesse sind nicht darauf ausgerichtet, Radwege über Gemeindegrenzen hinaus zu planen und zu bauen. Wie man die damit verbundenen Hemmnisse angehen kann, war Gegenstand eines intensiven Austauschs mit den Verantwortlichen für Radinfrastrukturausbau in Stadt, Kommunen, dem Landkreis und dem Land Hessen. Das Projekt organisierte mehrere Netzwerk-Treffen im Landkreis Darmstadt-Dieburg, um die Kooperation zwischen den Kommunen zu stärken. Der Landkreis führt die Netzwerk-Aktivitäten nach Projektende in eigener Regie weiter fort. Das Land Hessen hat die Förderung für Radverkehrs-Koordination in Aussicht gestellt.

Baustein 5: Fahrradfreundliche Infrastruktur auch für Pedelecs

Konventionelle Pedelecs sind bis 25 km/h motorunterstützt und gelten als normale Fahrräder. Sie dürfen die Radinfrastruktur nutzen. Dies gilt zunächst auch für DaVe.

DaVe ist aber für Pendelnde im Radius von 15-20 km (und mehr) besonders attraktiv, wenn der Elektromotor eine Geschwindigkeit von bis zu 45 km/h unterstützt. DaVe wäre dann ein Speed-Pedelec (S-Pedelec). Diese dürfen derzeit allerdings nicht die Radverkehrsanlagen nutzen. Läuft also neben einer Landstraße ein Radweg, müssen sie auf der Fahrbahn mit Kraftfahrzeugen fahren. Dies mindert mindestens die gefühlte Sicherheit auf einem S-Pedelec und hemmt deren Nutzung. Eine juristische Analyse zeigt daher auf, unter welchen Randbedingungen es sich empfiehlt, Radverkehrsanlagen für S-Pedelecs zu öffnen und wie das Land Hessen dafür die rechtlichen Voraussetzungen schaffen kann.

Gemeinsam mit der Hochschule Rhein-Main ist zudem geplant, in einem Modellprojekt die Nutzung von S-Pedelecs für den Weg zur Arbeit und verbundene Sicherheitsaspekte weiter auf den Grund zu gehen.

»Die Zusammenarbeit mit der [Innovations- und Transformations-Plattform der] Hochschule Darmstadt hat uns ermöglicht, ein Entwicklungsprojekt mal grundlegend anders anzugehen: Mit unterschiedlichen Expertisen an Bord konnten wir in die Konzeption eines innovativen Fahrzeugs von Anfang an bereits die Materialauswahl nach Kriterien der „Circular Economy“ und Fragen der sicheren Radinfrastruktur integrieren«

– Franc Arnold (CEO, RTI Sports GmbH)

PROJEKTDATEN

Prof. Dr. Martin Führ
Prof. Tom Philipps
Dr. Stefan Gloger
Robert Toroczkay
Maximilian Schweikert
Teresa Novotny

RTI Sports / Ca Go Bike GmbH

Strategietreffen „Material Compliance in der Fahrradbranche - heute und morgen“
14.07.2022, Ökohaus, Frankfurt

mit 20 Verantwortlichen der Fahrradbranche aus 14 Unternehmen

Gefördert im Rahmen der Bund-Länder-Initiative „Innovative Hochschule“ durch das BMBF und das Land Hessen, 2020-2022

Kontakt

Prof. Dr. Martin Führ

Tel. +49.6151.533-68734
martin.fuehr@h-da.de